Warum bekomme ich im Pflegebett keine Pflege?

Pflegenotstand: Warum bekomme ich im Pflegebett keine Pflege?

Immer weniger Personal am Pflegebett: Weil der bundesdeutsche Arbeitsmarkt leergefegt scheint, werben immer mehr Pflegedienste um ausländische Mitarbeiter. Wo dies nicht gelingt, wächst der Druck auf das verbleibende Pflegepersonal - oder man schließt die Lücken durch unterbezahlte Leihkräfte. Was tut die Politik?

 

Immer mehr Arbeit bei dünner Personaldecke 

Laut Zahlen des Instituts der Deutschen Wirtschaft fehlen derzeit um 15.000 Pfleger sowie 8.000 Pflegehelfer. Ein Misstand, der bis 2025 geschätzt um zusätzlich 150.000 Pflegekräfte wachsen wird - es sei denn, es gelingt, rechtzeitig Nachwuchs zu werben. Langjährige Pflegedienste wie der BBS (Beratung, Betreuung, Service) in Baden-Württemberg schließen bereits. Und die Schließung ruft Konkurrenz auf den Plan. Jedoch weniger, um deren Personal zu übernehmen, sondern um die Kunden im Pflegebett unter sich aufzuteilen. Pflegedienst-Alltag heißt hier, jedes Jahr Überstunden in dreistelliger Höhe - oder in einer Schicht über 25 Besuche zu machen, um Strümpfe im Minutentakt zu wechseln. Und parallel per SMS an die Geschäftsleitung zu melden, ob das Pensum geschafft ist.

 

Kriminelle bedienen sich am Pflegetopf 

Dabei scheint Geld genug vorhanden - und lockt schwarze Schafe an, die dem Ruf seriös arbeitender Pflegekräfte und der ganzen Pflegedienst-Branche schaden. Erst im Oktober beschlagnahmte die Polizei in Augsburg und München Geld und Sachwerte von über acht Millionen Euro. Abrechnungsbetrug im großen Stil, durch Unternehmen unter osteuropäischer Leitung: Menschen, die mit beiden Beinen im Berufsleben stehen, wurden als Pflegefall klassifiziert, um pro Person fünfstellige Beträge zu kassieren. Außerdem bekamen auch Menschen im Pflegebett Besuch von Ermittlern, weil sie mit ihrem Pflegedienst unter einer Decke steckten. Der Bereich Pflege und Gesundheit mit über 375 Milliarden Umsatz pro Jahr lade organisierte Kriminelle in Teilen dazu ein, sich zu bedienen, kritisiert die zuständige Staatsanwaltschaft. Dass sich der MDK als Kontrollinstanz einen Tag vorab beim Pflegedienst ankündige, genüge, um Dokumentationen und Akten zu fälschen. Oder Hilfsmittel wie Pflegebetten und Rolllatoren auszugeben, die die Pflegedienste nach dem Kontrollbesuch wieder abholten - organisierte Fehlpflege zulasten der Patientengesundheit.

 

Anwerbung von Pflegekräften im Ausland

 Derweil knüpft die Politik Kontakte im Ausland, um die Lücken am Pflegebett durch ausländisches Pflegepersonal zu schließen. Vom Kosovo über die Philippinen und China bis Mexiko, wo Jens Spahn Vertreter von Ausbildungseinrichtungen für Pflegeberufe traf: Mexikanischen Pflegekräften soll durch schnellere Annerkennungs- und Visaverfahren die Einreise nach Deutschland erleichtert werden. Bündeln soll die Anwerbung junger ausländischer Pflegerinnen und Pfleger durch Gesundheitswesen und private Personalservices die Agentur Saaris, Dachorganisation von "Konzertierte Aktion Pflege" (KAP). Auch die Plakatkampagne der Bundesregierung namens "Mach Karriere als Mensch" will bei jungen Leuten das Interesse für die Arbeit am Pflegebett wecken, in NRW sollen es Radiowerbung und Kennenlernveranstaltungen sowie der geplante Bau von Wohnungen richten.

 

Gesetzentwurf für verbesserte Bezahlung von Pflegekräften

 Endlich! Wenigstens ein Gesetzentwurf für verbesserte Bezahlung von Pflegekräften durch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ist verabschiedet. Die SPD wünscht sich ein Pflegesystem, das den Beschäftigten eine gute Arbeitssituation sowie den Betroffenen bestmögliche Entlastung bietet. Auch verbindliche Personalschlüssel für ganz Deutschland strebt die SPD langfristig an. Entsprechend will Heil die Arbeitsbedingungen am Pflegebett verbessern. Die Instrumente: Branchenweit verbindliche Tarifverträge, höhere Mindestlöhne und besserer Urlaubsanspruch, per Rechtsverordnung auf Vorschlag von Pflegekommissionen verbindlich durchgesetzt. Ob es tatsächlich zu tariflichen Regelungen kommt? Darüber müssen sich Gewerkschaften und Arbeitgeber noch einigen. Beim Mindestlohn - unter Angleichung in Ost und West - bringt Gesundheitsminister Jens Spahn eine Lohnuntergrenze von 14 Euro ins Gespräch. Eine Pflegekommission wird nun auf fünf Jahre berufen, Träger - auch kirchliche - sowie Arbeitsnehmerverbände als Tarifvertragspartner gleichermaßen repräsentiert sein.

 

SPD: Weg mit Gewinnansprüchen für Betreiber von Einrichtungen

 Außerdem kommt ein Tarifvertrag für die Altenpflege durch Gewerkschaft Verdi und die Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP), darunter Heime der Arbeiterwohlfahrt, auf den Weg. Doch der Arbeitgeberverband bpa kritisiert das Gesetz scharf. Es schrecke Investoren und private Kapitalgeber ab, was den Pflegenotstand nur verschärfen würde. Etwas, was durch die Sozialdemokraten in gewisser Weise so angedacht ist. Denn dort will man gegen Spekulationsgewinne zugunsten anonymer Anleger zu Felde ziehen, die Renditen deckeln sowie Gewinnansprüche für Betreiber von Einrichtungen streichen - wie es die Linke bereits 2017 gefordert hatte.

 

Refinanzierungssystem der Kassen auf dem Prüfstand 

 Andreas Westerfellhaus, Pflegebeauftragter der Bundesregierung, will auch ambulante Pflegedienste stärken. Zu den Reformvorschlägen zählen höhere Löhne in der ambulanten Pflege, die verhinderten, dass Pflegekräfte ins Krankenhaus abwanderten. Aber dazu sei die Position der Pflegedienste in den Preisverhandlungen zu stärken: Statt mit vielen Kassen zu sprechen, müsse dann nur einmal im einheitlichen Verfahren mit Kranken- und Pflegekassen über die Vergütung verhandelt werden. Für die Streitschlichtung stellt sich Westerfellhaus künftig ein einheitliches Schiedsstellenverfahren vor. Der Pflegebeauftragte will den Wettbewerb der Krankenkassen ausbremsen, der zulasten der Löhne geht. Das derzeitige unzureichende Refinanzierungssystem verhindere jedoch, dass Pflegedienste ihre Pflegekräfte fair bezahlten - so dass aktuell 80 Prozent der Pflegedienste Anfragen Pflegebedürftiger ablehnen müssten. Denn es findet sich einfach keiner, der zu diesen Löhnen arbeiten will. Was ist mit den Menschen, die jetzt Hilfe benötigen ?

 

 
Bitte geben Sie die Zeichenfolge in das nachfolgende Textfeld ein.

Die mit einem * markierten Felder sind Pflichtfelder.