Demenz: Mobilisieren statt Fixieren

Drei Uhr morgens in Deutschland: Heinz P. macht sich auf den Weg zur Arbeit - im Schlafanzug, bei Minusgraden. Im Nachbarort ruft Doris B. gegen Mitternacht nach der Mutter, die seit zwanzig Jahren tot ist: Vor allem die Nächte werden von pflegenden Angehörigen als besonders belastend erlebt. Jetzt heißt es aufstehen, Vater oder Mutter beruhigen, mehrmals die Nacht. Eigentlich ist Unruhe in der Nacht allein kein Grund für eine Heimunterbringung, aber viele Angehörige Demenzkranker verlässt die Kraft: Sie suchen einen bezahlbaren Heimplatz - und nehmen in Kauf, dass das Familienmitglied dort - angeblich zu seinem eigenen Schutz - fixiert wird. Aber gibt es Alternativen?

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Endstation Pflegeheim: Fixierung und die Folgen

Im Heim angekommen, verstärkt sich die Unruhe in fremder Umgebung, im ungewohnten Bett: "Ich weiß nicht, wo ich hier bin. Ich muss nach Hause!" Dass Angehörige nicht mehr lernen, wo Ihr neues Zuhause ist, gehört zum Wesen von Demenz. Derart entwurzelt, reagieren viele aggressiv. Bei 70 Prozent der Heimbewohner ist Demenz Haupt- oder Nebendiagnose; bis zu 60 Prozent werden deutschlandweit mit (Bauch-)Gurten, Bandagen oder Beruhigungsmittel fixiert. Ein nächtlicher Betreuungsschlüssel, bei dem ein Pfleger auf Dutzende Senioren kommt, ist von individueller Betreuungsmöglichkeiten entfernt - und greift zu Psychopharmaka. Dazu allerdings ist kein teurer Heimplatz nötig, sondern auch zu Hause durch Angehörige zu leisten. Neuroleptika gegen Aggressionen oder Ängste zu geben, gehört zu den Freiheitseinschränkenden Maßnahmen (FEM). Kontraproduktiv, denn nicht selten führt ihre Überdosierung zu chronischer Depression, Verwirrung und vermehrten Demenzschüben. Doch wer verwirrt ist, dessen Sturzgefahr steig - also wird per Gurt fixiert, worauf Verletzungen durch Wundscheuern auftreten. Weitere Folge: Gelenke, die durch Bewegungsmangel versteifen, dann verstärkte Pflegebedürftigkeit. Im November 2014 fand eine Bewohnerin eines dänischen Pflegeheims gar den Tod: Mit Baumwollgürteln ans Bettgestell fixiert, ließ man die Seniorin allein. Sie erstickte beim Versuch, das Bett zu verlassen, da sich der Riemen strammzog. Aber auch bereits der weniger drastisch anmutende Entzug von Rollator oder Rollstuhl fällt für Heimleiter wie Michael Thelen unter Fixierung, weil er Betroffenen die Möglichkeit nimmt, willentlich den Platz zu wechseln.

 

Alternativen zu Bettgitter und Bauchgurt

Was tun? Für pflegende Angehörige führt kein Weg daran vorbei: Sie müssen sich die nötige Zeit zum Beruhigen nehmen. Rituale helfen, wie der Mutter beim ersten Wachwerden (oft gegen Mitternacht) einen "Gute-Nacht-Tee" zu bringen, vertraute Schlaflieder zu singen oder den Vater zur Toilette zu begleiten. Ansonsten gilt größtmögliche Sicherheit bei maximaler Freiheit als erste Maxime, denn bei Hochbetagten kann schon ein einfacher Sturz tödlich sein. Michael Thelen, Heimleiter des Evangelischen Seniorenzentrums Theresienau, Bonn, setzt dazu auf die - fixierungsfreie - Alternative Pflegenest statt Bettgitter. Matratzen liegen neben dem fast bis auf den Boden heruntergefahrenen Pflegebett, das seitlich mit Kissen und Lagerungshilfen abgepolstert wird. Ein Pflegenest bannt die Gefahr, aber erhält die Bewegungsfreiheit, während der Bodenkontakt Sicherheit gibt. Auch bemüht man sich in Theresienau, das Zimmer so zu gestalten, wie sein Bewohner früher lebte - mit Bildern, Fotos und Tischdecken aus einer anderen Zeit. Hier ist man auf die besonders sturzgefährdete Patientengruppe der Demenzkranken spezialisiert. Thelen weiß: Fixieren, eine Form des Eingesperrtseins, weckt bei der Kriegsgeneration alte Traumata. Und er plädiert für eine Heimkultur, deren Heimleitungen freiheitsentziehende Maßnahmen ächten - und dies bewusst vorleben.

Sturzgefahr minimal: Niedrig-Pflegebetten

Neben Abrollmatten und Fallschutzmatten vor dem Pflegebett zählen Niedrigpflegebetten (Niederflurbetten) zu den lohnenden Investitionen. Auf sehr geringe Lagerungshöhe von etwa 13 cm heruntergefahren, erhöht sich bei aktiven Demenz-Patienten die Sicherheit in der Schlafphase immens, die Gefährdung bei einem Sturz ist minimal. Trotzdem gewährleistet eine Pflegehöhe von 80 cm rücken- und kräfteschonende Pflegearbeit. Niedrigpflegebetten sind auch ohne Seitengitter oder mit zweigeteilten Bettgittern zu bekommen - auch bei HMMso Pflegebetten 24

Auch spezielle Demenz-Matratzen können Schlafstörungen vorbeugen, für ruhigeren Schlaf und verbesserte Schlafqualität sorgen, Liegeschmerzen verringern und den Muskeltonus senken. Die Federung bewirkt ein festes Liegegefühl und bessere Körperorientierung, da Demenz die sensorische Wahrnehmung - etwa Hautempfindungen - beeinträchtigt. Flügelfedern verwandeln feinste Regungen des Schläfers in Gegenbewegungen. Mikrostimulation, die die Wahrnehmung im Schlaf verbessert und den nächtlichen Betreuungsaufwand verringern hilft. Aber was, wenn nachts Hilfe benötigt wird? Sanitätshäuser wie HMMso beraten zu speziellen Rufsystemen und Funkgongs - oder auch Matratzen mit integriertem Alarmauslöser, angeschlossen an eine Patientenrufanlage.

Deutschland: Schlechter Pflegeschlüssel im EU-Vergleich

Wie Heimleiter Thelen hält auch Gerontopsychiater Rolf Hirsch nichts von Fixierung - und seit 20 Jahren mit seiner Initiative "Handeln statt Misshandeln" dagegen. Und zeigt sich erfreut über einen neuen Trend: In Bonn sucht ein Arbeitskreis aus Richtern, Betreuungsbehörde und Heimleitern seit 2011 Alternativen zur Fixierung, mit Erfolg. Allein von 2012 bis 2013 nahmen die Anträge auf richterlich angeordnete Fixierung auf 53 ab - von zuvor 110. Gründe dafür? Unter anderem Schulungen für Anwälte, Angehörige, Betreuer und Heimleiter. Inzwischen folgen über 40 von 130 nordrhein-westfälischen Amtsgerichten dem Bonner Vorreiter.

Bundesweit ist leider weniger Erfreuliches zu vermelden, denn weiterhin glänzt Deutschland mit einem der schlechtesten Pflegeschlüssel in der EU. Geschultes Personal wird durch Fixierungen und Medikamente kompensiert, während in Ländern wie Großbritannien Fixieren komplett verboten ist. Mit Recht, denn wie Bonn und andere zeigen, nimmt die Zahl der Verletzungen bei Verzicht auf Fixierung keineswegs zu. Noch ist das Ziel nicht erreicht, haben sich längst nicht alle Seniorenzentren davon verabschiedet. Bis es soweit ist, sollten Angehörige auf Mobilisierung und Lebensqualität statt auf Fixierung in der Demenz-Pflege setzen - und Mutter oder Vater zu Hause pflegen.

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  • gravierende Zustände

    Ich selbst arbeite in der Pflege und habe leider auch schon so einige negative Seiten kennenlernen müssen. Dieser Blog beschreibt die teilweise gravierenden Zustände, sowie mögliche Alternativen. Die Lebensqualität eines jeden einzelnen weiter zu erhalten, ist eines der wichtigsten Ziele die man haben sollte.

  • Mobilisierung statt Fixierung in der Demenz-Pflege bietet deutlich mehr Lebensqualität

    ein riesen Kompliment den Heimleitern, Gerontopsychiatern, Richtern, Pflegern, Betreuern, Betreuungsbehörden und Angehörigen, die sich so vehement gegen diese Freiheits entziehenden Maßnahmen ins Zeug legen. Das sollte bundesweit Schule machen